Lieber Freund, hier haben Sie die
Erklärung meines ganzen Wesens, meines Trachtens und tiefsten
Verlangens: alles, was ich mir wünsche, ist nichts anderes
als die letzte Erfüllung der wirklichen Frau: vor dem Leben
geschützt zu werden durch das härtere Wesen, den Mann. Ich
meine, der Tod würde mir willkommener sein als z. B. – ein
Leben als Künstlerin, meinetwegen einer gefeierten, großen
Künstlerin . . . Denn ich will nicht Künstlerin, sondern ich
will nur Weib sein.
Deshalb
muß ich, ja
muß
ich alles Werken, alles Kunstschaffen
aus meinem Leben ausschalten – das schreibe ich eingedenk
unserer letzten Nachtgespräche gerade Ihnen –, weil ich nicht
die Arbeit des Virilen, des Mannes, nämlich
Andreas
' Arbeit fortsetzen kann. Und im
Gegensatz zu
Andreas
, der Kunstwerke schaffen
mußte
aus innerem Zwange, fühle ich mein
eignes Leben abgewandt allem, was Kunst ist. Drücke ich mich
klar, verständlich aus? Nicht mit meinem Gehirn, nicht mit
meinen Augen, nicht mit meinen Händen will ich schöpferisch
sein. Mit meinem Herzen, mit meinem Blut will ich es sein.
Dies ist das inbrünstige Verlangen meines Frauenlebens:
Mutter eines Kindes zu werden! Ob mir der Wunsch erfüllt wird
oder nicht – daß ich diesen Wunsch aus reinem Frauenherzen,
aus meinem Frauenblut aussprechen, offen bekennen darf, ist
schon unendliches Glück für mich. Daß ich dies Glück
empfinden darf, rechtfertigt alles, was mit mir hier in
Dresden
geschehen ist. Und weil es so ist,
lieber Freund, mußte meine Beichte, die ich in Ihre Hände
gelegt habe, ausklingen in mein tiefstes Wunschbekenntnis und
Verlangen: »Ich möchte so gern einmal Mutter werden.«
–
g1c23l02p14